Wenn Geld nicht mehr wirkt

2. Dezember 2021

Ich gehöre zu denen, die noch von klein auf gelernt haben, dass der Wert eines Menschen vor allem daran gemessen wird, wie hoch sein Vermögen ist. Du hast es weit gebracht, diese Respektsbezeugung bezog sich so gut wie nie auf die Entfaltung einer beachtlichen Persönlichkeit, sondern vielmehr auf die Entwicklung eines beachtlichen Bankkontos. Geld war der Bewertungsmaßstab für ein erfolgreiches Leben.

Das ist heute in weiten Teilen noch so. Aber immer mehr Menschen begreifen, dass Dinge die sie glücklich machen, selten tatsächlich mit Geld zu erreichen sind: der richtige Partner/die richtige Partnerin, Gesundheit, ein sinnerfülltes Tun… Immer mehr lassen dieser Erkenntnis Taten folgen. Sie reduzieren ihre Arbeitszeit, wechseln den Job oder nehmen eine Auszeit. Dieses Phänomen ist bereits so weit verbreitet, dass es in den USA schon einen Namen dafür gibt Big Quit.  In Europa und Amerika ist zu beobachten, dass die derzeitige Pandemie diese Entwicklungen beschleunigt – siehe  „Great Resignation“: Großes Kündigen in den USA – news.ORF.at

Sinnsuche und das Streben nach Glück werden also wichtiger als Einkommen und Status. Humanismus kollidiert mit Kapitalismus, man darf gespannt sein, wie das Match ausgeht. Höchste Zeit also zu fragen, welche Auswirkungen das auf die Führung von MitarbeiterInnen hat.

Zunächst ist festzustellen, dass Geld als Motivator nur kurzfristig und jedenfalls bei immer weniger Menschen wirkt. Der 27-jährige Buchhalter, der Pflegeassistent wurde; der 50-jährige Manager, der eine Kreativwerkstatt eröffnete; die 45-jährige Bankangestellte, die ein veganes take-away betreibt, ihnen allen ist gemein, dass sie ihre gut bezahlten Jobs an den Nagel gehängt haben, um das zu tun, was ihnen Freude macht. Auch die Diskussionen über das Pflegepersonal zeigen diese Entwicklungen sehr gut. Jahrelang hat man sich nicht mit den Arbeits- und Umfeldbedingungen beschäftigt, die beziehungsorientierte – und damit energieintensive – Leistungen erfordern. Die Folge ist, dass ausgerechnet während der Pandemie das Personal fehlt – und mehr Geld löst das Problem nicht.

Die steigende Unzufriedenheit kann man in allen Branchen u.a. an der Bereitschaft zum Berufswechsel ablesen. Zwar ist der Hauptgrund dafür noch immer die Aussicht auf ein höheres Einkommen, aber die Pandemie hat offensichtlich die Beweggründe massiv verschoben, wie eine Studie zeigt. Studie: Gründe für den Jobwechsel während der Corona-Krise | karriere.at. Demnach würden 28 % der Befragten wegen eines interessanteren Aufgabengebietes wechseln, 23 % wegen eines besseren Arbeitsklimas und je 22 % wegen eines ausgewogenen Arbeitszeit-Freizeit-Verhältnisses bzw. besserer Arbeitsbedingungen.

Daraus und aus den Erkenntnissen zu Work-Life-Balance (z.B. Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt – Work-Life-Balance (baua.de) ist abzuleiten, dass

  • der Sinn der Tätigkeit,
  • die Organisation der Aufgaben,
  • die Gestaltung der Rolle und
  • die Unterstützung in einer technologisierten Umwelt

wichtige Kriterien dafür sind, ob jemand in seinem Beruf bzw. in seiner Arbeitsstelle bleibt. Anders ausgedrückt, es geht um Sinnfindung und Mitwirkung an der Gestaltung des eigenen Tätigkeitsbereichs. Nein, nicht jeder will und kann das, das ist ja die Herausforderung in der Führung. Was wäre nun die Lösung? Nun, ich lassen Sie mich ein wenig ausholen:

Die Strukturen, Abläufe und Führungsmethoden von Organisationen waren immer schon vom Welt- und Wertebild der Menschen beeinflusst. Frederic Laloux hat in seinem Buch „Reinventing Organizations“ eine gute Zusammenfassung über die bestehenden Entwicklungslinien gegeben:

  • Die autoritäre, arbeitsteilige Top-Down-Hierarchie, die so Komplexität vereinfacht.
  • Die traditionelle Organisation mit klaren Stellenbeschreibungen, Richtlinien und Berichtswesen usw. die davon ausgeht, dass das Denken an der Spitze und die Umsetzung in den Ebenen darunter passiert.
  • Die Organisation, die als Algorithmus oder Maschine verstanden wird. D.h. ein bestimmter Input in Einheiten ergibt einen bestimmten Output zur Maximierung des „shareholder value“.
  • Die postmoderne Organisation, die neben der Verpflichtung zur Gewinnmaximierung noch andere Werte verfolgt, die z.B. soziale Nachhaltigkeit oder Umweltschutz. Hierarchien werden hier vermindert und Teamarbeit großgeschrieben.

Diese Entwicklungslinien bzw. Haltungen existieren gleichzeitig in unterschiedlichen Kombinationen in vielen Unternehmen . Das macht eine zielorientierte Führung ja so spannend und interessant. Eine mögliche Lösung zur Bindung der MitarbeiterInnen ist daher, für die verschiedenen Gruppen das jeweils passendes Arbeitsumfeld zu schaffen.

Ich habe Erfahrung mit der Kombination von Matrixorganisation und Projektnetzwerk. Die eine Struktur gewährleistet die Abwicklung des Kerngeschäfts, die andere die Realisierung von Neuerungen und Innovationen. Verbunden sind beide durch Menschen, die – je nach Neigung, Talent und Qualifikation – in unterschiedlichen Rollen eingesetzt werden.

Klingt einfach, ist es nicht. Es ist vielmehr ein Unternehmensentwicklungsprozess, der darauf abzielt, einerseits rasch KundInnenbedürfnisse zu erkennen und Lösungen dafür zu entwickeln und andererseits Angebote für MitarbeiterInnen hat, wenn Geld nicht mehr wirkt.

0 Comments

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner