Weinempfehlung

7. November 2021

Rituale sind in meinem Leben wichtig. Eines davon ist die temperamentvolle Weinrunde, die einmal im Quartal stattfindet. Aber eigentlich ist sie mehr eine Diskussionsrunde, in der hitzig über die Politik, die Wirtschaft, die Pandemie und gelegentlich über das Liebesleben der Maikäfer gestritten wird.

Heute habe ich den Wein mitgebracht – Urlaubserinnerungen aus Kroatien. Wir beginnen mit Stina Posip 2019. Man schmeckt den Karstboden, finde ich, und ein wenig Nuss und gelbe Früchte. Allein, heute will die obligate Diskussion, ob man Kalk überhaupt im Wein schmecken kann, nicht so richtig in Fahrt kommen.

Wir sitzen in der untergehenden Sonne und räsonieren über Digitalisierung im Allgemeinen und remote bzw. hybrid working im Besonderen. „Ein Teil der Belegschaft sitzt daheim und ist am Handy oft nicht erreichbar, wenn’st was brauchst“, meint Walter, Regionalleiter in einer Logistikfirma, „Ich weiß gar nicht, ob die überhaupt die 38 Stunden arbeiten.“ Ich schüttle den Kopf und rolle die Augen. In dieser Runde darf ich das. Führungskräfte, die mit einem derartigen Misstrauen in der virtuellen Arbeitswelt agieren, sind auf verlorenem Posten. Die traditionellen Kontrollmechanismen greifen nicht mehr. Die Stempeluhr als probates Mittel der Anwesenheitsprüfung hat ausgedient. Matthias, der Architekt in der Runde, bringt es auf den Punkt: „Wir werden uns von dem Konzept verabschieden müssen, dass die Leute uns Zeit an einem bestimmten Arbeitsort zur Verfügung stellen. Mir ist es egal, wann und wo mein Team arbeitet, Hauptsache die Termine werden eingehalten.“, er nippt an seinem Glas. Daraufhin entspinnt sich eine Diskussion darüber, dass es gar keine andere Grundlage für die Berechnung des Gehalts geben kann. Die Einhaltung könne man ja mit Drohnen überwachen, meinte einer. Daraufhin wird es ziemlich laut. Zeit für Käse, Oliven, Schinken und einem Teran 2018 vom Kozlovic.

Die Würze und der Geruch von reifen roten Beeren, beruhigt die Gemüter. Marie, die Bankerin, erzählt, dass sich die MitarbeiterInnen in Präsenz gegenüber den Kollegen und Kolleginnen im Homeoffice schlechter gestellt fühlen und zwar u.a. deshalb, weil die Einschulung neuer MitarbeiterInnen immer noch analog passiert. Die einen müssen etwas machen, was die anderen nicht machen müssen. „Warum setzt ihr den Prozess nicht auch digital auf, z.B. mit virtuellen Rundgängen oder Quiz und Spielen zu den einzelnen Fachbereichen?“, frage ich. Anton unterbricht mich erstaunt. „Bei uns ist es umgekehrt.“ Er hat einen Installateurbetrieb mit Fliesenhandel: „Meine Techniker und Vertriebsleute sagen, sie sind froh, dass sie im Geschäft sein können. Wenn es ein Problem gibt, lösen sie es dort schneller als im Homeoffice. Mit dem Kollegen bei einem Kaffee ein schwieriges Projekt besprechen, schnell einen Tourentausch organisieren, geht analog schneller.“

Es gibt aber auch Einigkeit in der Runde. Beispielsweise darüber, dass es zeitaufwändig ist, die verschiedenen Gruppen zu koordinieren. Und dass es schwierig ist, das Team zusammenzuhalten und Ergebnisse zu bringen. „Ich habe keine Kontrolle mehr, früher hab‘ ich alle bei mir gehabt, hab‘ ihnen ins G’sicht geschaut und gewusst, ob es ein Problem gibt. Heut‘ sehe ich die nur mehr am kleinen Bildschirm und fragen tun sie mich auch nicht  mehr.“, sagt Walter nachdenklich, die anderen nicken. Es wird ruhig in der Runde, es geht jetzt „um’s Eing’machte“, wie die Wiener sagen. „Meine Teams entscheiden selbständiger. Ich merk jetzt erst so richtig, wie viele echt gute Fachleute ich hab. Die haben mehr drauf als ich, wenn ich ehrlich bin.“, sagt Marie leise.

„Vielleicht brauchen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der neuen Arbeitswelt ein bisschen etwas anderes von Führungskräften als früher?“, vorsichtig frage ich nach. „Ja, das kann schon sein, aber was?“. Walter nimmt das Glas, trinkt einen Schluck, schließt die Augen und genießt. „Und was, wenn ich das nicht kann?“, murmelt er. „Dann bist nicht mehr so wirksam.“, ich rede nicht lange herum, schon gar nicht bei Freunden. „Aber warum sollst du das nicht können? Ein Teil der Führungsarbeit war schon immer das Verbinden von Menschen, die Kommunikation, das Coachen und Entwickeln von Teams, das Herstellen von Verbundenheit mit den Zielen. Die Instrumente sind jetzt zwar andere, aber du hast es früher gemacht und wirst es auch jetzt gut machen.“

„Hey“, wendet sich Matthias an mich, „red‘ net nur gescheit. Gib uns doch mal einen Ratschlag, wie man anfangen könnte, remote oder hybride Arbeitswelten neu zu organisieren.“ „Na, zum Beispiel fang an, aufzuhören bei asynchroner Kommunikation eine synchrone Antwort zu erwarten.“, antworte ich, „anders gesagt, wenn du mit Mail eine Frage stellst, dann warte bis deine Leute antworten und telefonier nicht nach 20 Minuten hinterher. Damit beschleunigst du ohne Not und reduzierst die Qualität. Und ich geb‘ euch noch eine unentgeltliche Empfehlung: Schaut, dass es genug sozialen Austausch gibt und nicht eine Video-Konferenz nach der anderen angesetzt wird. Schaltet die Verbindungen nicht gleich ab, sondern gebt die Möglichkeit noch informell zu sprechen, so wie in der Teeküche. Verwendet unterschiedliche Methoden, z.B. eine morgendliche Jour-Fixe-Runde im Gehen. Mitarbeiterinnen mit dem Kaffeebecher in der einen Hand und dem Handy in der anderen.“ Marie zieht ihr Handy aus der Tasche und notiert sich etwas.

Ich hole zum Abschluss den Trester aus Benkovac. „Ich mach’ mir keine Sorgen, dass ihr den Umstieg nicht schafft.“, ich klopfe Walter im Vorbeigehen auf die Schulter, „Eure MitarbeiterInnen brauchen Führungskräfte, die auf ihre Energie achten, die den Moment genießen können, wissen was gut tut. Das brauchen eure Teams und ihr könnt es.“

Ich halte Selbstführung und Achtsamkeit besonders bei Führungskräften für ein vernachlässigtes Thema. Mehr davon beim nächsten Mal. 

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